So beheben Sie 6 häufige Fehler in der Produktstrategie: Ein Q&A mit Roman Pichler

Lesedauer: etwa 8 Min.

Themen:

  • Produktentwicklung
  • Expertentipps

Das Produktmanagement hat sich seit der weit verbreiteten Abkehr von der Wasserfallmethode erheblich weiterentwickelt: Agile Teams arbeiten stärker kollaborativ und iterativ, was eine schnellere Lieferung und eine höhere Anpassungsfähigkeit ermöglicht. Dennoch tun sich viele Teams immer noch schwer mit einem wichtigen Teil des Produktmanagements: der Produktstrategie.

Warum ist die Produktstrategie auch heute noch eine so große Herausforderung? Um das herauszufinden, haben wir mit dem Produktmanagement-Experten, Autor und Redner Roman Pichler gesprochen.  

Pichler, der auf mehr als 15 Jahre Erfahrung im Produktmanagement zurückblicken kann und Produktverantwortliche und -eigentümer:innen berät und lehrt, wie sie ihre Produktstrategie verbessern können, hat Einblicke darüber mit uns geteilt, wie man eine effektive Produktstrategie ausarbeitet und kommuniziert, häufige Fehler vermeidet und ein hohes Maß an Zustimmung seitens der Stakeholder und Stakeholderinnen sicherstellt.

Beginnen wir mit den Grundlagen. Was ist eine Produktstrategie und warum brauchen Unternehmen eine?

Eine Produktstrategie ist ein übergeordneter Plan, der einem Produktmanager oder einer -managerin dabei hilft, ihre Vision zu verwirklichen und mitzuteilen, wie sie den Produkterfolg erreichen wollen. Eine gute Produktstrategie erklärt:

  • Für wen das Produkt bestimmt ist und warum die Leute es benutzen und kaufen wollen 
  • Was das Produkt ist und was es von anderen unterscheidet 
  • Was die Geschäftsziele des Produkts sind 

Mit anderen Worten: Eine effektive Produktstrategie erfasst den Markt, die Bedürfnisse, die wichtigsten Merkmale oder Unterscheidungsmerkmale und die Unternehmensziele. 

Ohne eine Produktstrategie ist es für Unternehmen schwierig zu verstehen, welchen Wert ein Produkt schaffen wird und ob es überhaupt produziert werden sollte. Wenn ein Produkt einmal eingeführt ist, muss sichergestellt werden ob es den gewünschten Wert liefert und wie es weiterentwickelt werden sollte. Anders ausgedrückt: Eine Produktstrategie hilft Unternehmen, intelligente Investitionsentscheidungen zu treffen und ihr Produktportfolio effektiv zu verwalten.

Agilität hat Teams viele Techniken an die Hand gegeben, um die Produktbereitstellung zu verbessern, aber es bietet keine Anleitung für die Produktstrategie. Können Sie diesen Punkt näher erläutern?

Ein agiles Framework wie Scrum geht stillschweigend davon aus, dass das Scrum Team – Produkteigentümer, Entwickler, und Scrum Master – wissen, wer ihre Nutzer und Kundschaft ist, warum diese Personen mit dem Produkt interagieren und dafür bezahlen wollen und warum es sich für das Unternehmen lohnt, Geld für die Entwicklung des Produkts auszugeben. Ohne dieses Wissen wäre es unmöglich, das Produkt-Backlog effektiv zu bestücken und die richtigen User Stories zu schreiben.

Scrum bietet jedoch keine Anleitung, wie man die richtige Zielgruppe und Bedürfnisse ermittelt. Es bietet auch keine Hilfe bei der Auswahl der richtigen Geschäftsziele und der Sicherstellung, dass diese realistisch sind. Mit anderen Worten: Scrum will Teams bei der Entwicklung komplexer Produkte unterstützen, ist aber kein Produktmanagement Framework.

Wenn sich agile Teams nicht bewusst sind, dass es einen Arbeitsbereich gibt, der nicht von Scrum abgedeckt wird, und die Produktentdeckung und Strategiearbeit vernachlässigen, neigen sie dazu, sich fast ausschließlich auf die Ausführung und Bereitstellung zu konzentrieren. Im schlimmsten Fall kann es passieren, dass ein Team ein Produkt entwickelt, das die Menschen nicht wollen und brauchen oder das nicht genug Wert für das Unternehmen schafft.

Was sind die größten Fehler, die Sie bei Unternehmen in Bezug auf die Produktstrategie beobachtet haben?

Es gibt sechs häufige Fehler in der Produktstrategie, die ich bei Unternehmen sehe:

1.     Keine Produktstrategie. Ohne eine Produktstrategie ist unklar, wer Nutzende und Kunden eines Produkts sind, welchen Wert es für sie schaffen soll, was das Produkt von den Angeboten der Konkurrenz unterscheidet und welchen Nutzen es für das Unternehmen bringen soll. 

2.     Die Produktstrategie enthält falsche Informationen. Das ist häufig auf die Verwechslung von Geschäfts- und Produktstrategie zurückzuführen. Erstere sollte den gewählten Ansatz darlegen, um das Unternehmen erfolgreich zu machen oder zu halten. Letztere sollte beschreiben, wie Sie das Produkt zum Erfolg führen wollen.

3.     Die Produktstrategie wurde nicht validiert. Eine nicht validierte Produktstrategie enthält ungeprüfte Annahmen und nicht berücksichtigte Risiken. Im schlimmsten Fall beruht sie auf Wunschdenken und nicht auf Daten. Dies kann dazu führen, dass die Zielgruppe falsch gewählt wird, das Wertversprechen nicht stark genug oder das Geschäftsziel unrealistisch ist.

4.     Die Produktstrategie ist von den taktischen Produktentscheidungen abgekoppelt. In diesen Fällen ist die Strategie nicht richtungsweisend für das Produkt-Backlog, und die Daten, die bei der Entwicklung von Produktinkrementen und der Veröffentlichung neuer Produktversionen gesammelt werden, werden nicht zur Weiterentwicklung der Strategie genutzt. 

5.     Die Produktstrategie wird nicht von den wichtigsten Stakeholdern bzw. Stakeholderinnen und Entwicklungsteams unterstützt. Fehlt die Unterstützung der Stakeholder und Stakeholderinnen, ist auch die beste Strategie nutzlos. Eine gute Möglichkeit, eine starke Akzeptanz sicherzustellen, besteht darin, die wichtigsten Stakeholder bzw. Stakeholderinnen und Mitglieder des Entwicklungsteams zur Erstellung und Aktualisierung des Plans einzuladen.

6.     Die Produktstrategie wird nicht auf dem neuesten Stand gehalten. In diesen Fällen wird eine Produktstrategie als ein fester Plan betrachtet, der ausgeführt werden muss. Aber wenn das Produkt sich weiterentwickelt und die Märkte sich verändern, muss die Strategie angepasst werden. Um sicherzustellen, dass die Strategie nützlich bleibt, sollte sie in der Regel alle drei Monate überprüft werden. 

Sie erwähnen die Unterstützung der Stakeholder und Stakeholderinnen als wichtigen Bestandteil der Produktstrategie. Wie kann ein Produktmanager bzw. Produktmanagerin seine/ihre Strategie den relevanten Interessengruppen vermitteln?

Der beste Weg, eine Produktstrategie zu vermitteln, ist die Einbeziehung einiger Personen – der wichtigsten Stakeholder und Stakeholderinnen – in die Erstellung, Validierung und Aktualisierung des Plans, vorzugsweise in Form eines gemeinsamen Workshops. 

Die wichtigsten Stakeholder bzw. Stakeholderinnen sind die Personen, deren aktive Unterstützung Sie benötigen, um das Produkt anzubieten. Bei einem kommerziellen Produkt könnte dies Vermarkter, Vertriebsmitarbeitende, Supportmitarbeitende und Fachkräfte sein. Ich bin der Meinung, dass dieser Ansatz das Fachwissen der einzelnen Personen nutzt, Klarheit und Übereinstimmung schafft und die Chancen auf solide Unterstützung erhöht.

Produktstrategie
Produktmanager und -managerinnen müssen in der Lage sein, eine Produktstrategie einer Vielzahl von internen und externen Interessengruppen zu vermitteln.

Machen Sie bei der Zusammenarbeit an der Produktstrategie nicht den Fehler, es allen recht machen zu wollen oder einzelnen Personen zu erlauben, den Entscheidungsprozess zu dominieren. Suchen Sie stattdessen nach einer Entscheidung, die den Wert Ihres Produkts maximiert und gleichzeitig so viel Unterstützung wie möglich findet. 

Achten Sie darauf, dass Sie keinen schwachen Kompromiss eingehen. Gemeinsam zu entscheiden bedeutet nicht, dass jeder seinen Willen bekommt oder mit jeder Entscheidung zufrieden ist. Es bedeutet, sich das Fachwissen, die Ideen und die Bedenken aller zu Nutze zu machen, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen und eine geeignete Lösung zu finden, die möglichst viel Zustimmung findet.

Welche Tipps oder Tools würden Sie anbieten, um die Produktstrategie zu dokumentieren und zu teilen?

Die beste Produktstrategie ist wertlos, wenn man sie nicht klar ausdrücken und vermitteln kann. Um diese Herausforderung zu meistern, habe ich das Product Vision Board entwickelt. Das Board ist ein einfaches, aber wirksames Instrument, um die Produktstrategie in prägnanter und verständlicher Form darzustellen. Wie die folgende Abbildung zeigt, besteht es aus fünf Bereichen: Vision, Zielgruppe, Bedürfnisse, Produkt und Geschäftsziele. Der obere beschreibt die Vision, die unteren vier die Produktstrategie.

product vision board
Beispiel für ein Product Vision Board (klicken Sie auf das Bild, um es online zu bearbeiten)

Meine Absicht bei der Erstellung des Product Vision Boards war es, ein praktisches Tool für agile Teams zur gemeinsamen Erstellung, Validierung und Aktualisierung einer Produktstrategie anzubieten. Lucidspark bietet eine großartige Implementierung des Produkt Vision Boards, die es Teams leicht macht, online zusammenzuarbeiten, unabhängig davon, wo sie gerade sind. In meinem Buch Strategize können Sie mehr über das Produkt Vision Board erfahren.

Welchen Rat haben Sie für Produktverantwortliche, die mit der Umsetzung einer effektiven Produktstrategie kämpfen?

Meiner Erfahrung nach ist es für Produktverantwortliche nicht ungewöhnlich, dass sie es schwierig finden, effektive strategische Entscheidungen zu treffen. Um die Situation zu verbessern, müssen zunächst die Ursachen ermittelt werden. Hier sind drei gängige Beispiele:

1.     Fehlende Befugnisse: In manchen Fällen sind die Produktverantwortlichen nicht befugt, strategische Produktentscheidungen zu treffen. Folglich sind sie nicht Eigentümer bzw. Eigentümerin der Produktstrategie, sondern eine andere Person entscheidet darüber. Wenn dies auf Sie zutrifft, sollten Sie herausfinden, wie Sie Ihre Autorität steigern können.

Als Scrum-Produktverantwortlicher sollten Sie die Verantwortung für das gesamte Projekt tragen. Sie sollten nicht nur taktische Produktentscheidungen treffen und das Produkt-Backlog verwalten, sondern auch strategische Entscheidungen treffen und die Produktstrategie und Roadmap verwalten. Andernfalls werden Sie Ihrer Verantwortung, den Wert des Produkts zu maximieren, nur schwer gerecht werden können.

2.     Mangelndes Wissen: Manchen Produktverantwortlichen fehlt die Fähigkeit, eine Produktstrategie zu erstellen, zu validieren und zu aktualisieren. In diesem Fall sollten Sie sich das entsprechende Wissen durch die Teilnahme an einer Schulung und die Lektüre von Artikeln und Büchern über Produktstrategie aneignen. Vergessen Sie nicht, Ihr Wissen zu testen, indem Sie es auf Ihr Produkt anwenden – zum Beispiel durch das Erstellen eines Produkt Vision Boards. 

3.     Zeitmangel: Produktverantwortliche sind oft so sehr damit beschäftigt, das Product Backlog zu aktualisieren, User Stories zu schreiben und das Entwicklungsteam zu leiten, dass sie keine Zeit und Energie für die Arbeit an der Produktstrategie haben. Wenn dies auf Sie zutrifft, sollten Sie aufhören, Aufgaben zu übernehmen, die nicht zu Ihrer Rolle gehören, wie z. B. die Aufgaben eines Scrum Masters.

Außerdem sollten Sie einen Teil Ihrer Arbeit delegieren. So können die Mitglieder des Entwicklungsteams beispielsweise selbständig an der Verfeinerung des Produkt-Backlogs arbeiten. Schließlich sollten Sie in Ihrem Kalender etwas Zeit für die Arbeit an der Strategie und die Recherchearbeit einplanen – als Faustregel gilt hier mindestens ein halber Tag pro Woche.

Ich helfe Ihnen dabei, diese Herausforderungen in meinem Produktstrategie- und Roadmap-Kurs zu meistern, in dem Sie lernen, wie man eine erfolgreiche Produktstrategie aufbaut, validiert und aktualisiert.

Wenn es eine Sache gibt, die Sie Lesende mit auf den Weg geben möchten, welche wäre das?

Das Wichtigste ist, dass die Produktstrategie nicht etwas Hochtrabendes oder ein „Nice-to-have“ ist. Sie ist wichtig, da sie die täglichen Entscheidungen der Produktverantwortlichen und Teams bestimmt. Es muss sichergestellt werden, dass eine wirksame Produktstrategie vorhanden ist und dass sie regelmäßig überprüft und aktualisiert wird. Mit den Worten von Sun Tzu: „Strategie ohne Taktik ist der langsamste Weg zum Sieg. Taktik ohne Strategie ist der Lärm vor der Niederlage.“ 

Lucid Universal Canvas

Werkzeugkasten

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Über Lucid

Lucid Software ist ein Vorreiter und führendes Unternehmen im Bereich der visuellen Zusammenarbeit, das Teams dabei hilft, die Zukunft zu gestalten. Mit den Produkten Lucidchart, Lucidspark und Lucidscale werden Teams von der Ideenfindung bis zur Ausführung unterstützt und können sich auf eine gemeinsame Vision ausrichten, komplexe Sachverhalte verdeutlichen und visuell zusammenarbeiten, ganz gleich, wo sie sich befinden. Lucid ist stolz darauf, dass Spitzenunternehmen auf der ganzen Welt seine Produkte nutzen, darunter Kunden wie Google, GE und NBC Universal sowie 99 % der Fortune 500. Lucid arbeitet mit branchenführenden Partnern wie Google, Atlassian und Microsoft zusammen. Seit seiner Gründung wurde Lucid mit zahlreichen Preisen für seine Produkte, Geschäftspraktiken und Unternehmenskultur gewürdigt. Weitere Informationen finden Sie auf lucid.co.

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